Tagesausflüge
Das Oldtimer-Museum „PS.Speicher“ in Einbeck
Wolfgang Guth · 26.11.2024
Das historische Backsteingebäude ist Heimat des Oldtimer-Museums P.S.Speicher. Foto: PS.Speicher, Einbeck
Die Augen schweifen hin und her. Im Hintergrund das imposante denkmalgerecht restaurierte sechsgeschossige Backsteingebäude, davor parkend ein blauer VW-Käfer. „Genau mein erstes Auto, 1970 gekauft“, ruft Besucherin Helga Thiede mit breitem Lachen und wohl besten Erinnerungen aus.
Im Oldtimer-Museum kann man die Fahrzeuge der eigenen Kindheit und Jugend wiedersehen. Foto: Wolfgang Guth
Kaum ist sie aber in der sechsten Etage des Oldtimer-Museums „PS.Speicher“ angekommen, wird ihre Aufmerksamkeit von der „Benz Victoria Motorkutsche Nr. 99“, Baujahr 1894, in Anspruch genommen. Verblüfft schaut sie auf das Nummernschild „EIN PS 10H“: Es ist mit einer amtlichen Zulassungsplakette des Kreises Northeim versehen. Zwar verfügt die Victoria über keine Blinker und Licht, hat aber einen gültigen TÜV-Stempel. Thiede steht vor dem ältesten zugelassenen, fahrbereiten, im Originalzustand erhaltenen Automobil in Deutschland.
Auch eine Benz-Victoria-Motorkutsche Nr. 99, Baujahr 1894 ist in der Sammlung vertreten. Foto: PS.Speicher, Einbeck
Erstes Knöllchen der Automobilgeschichte
Um das Fahrzeug, das Carl Benz persönlich an den Nähgarnfabrikanten Alexander Gütermann verkaufte, ranken sich viele Geschichten. So ist ein Strafzettel vom 16. Mai 1895 über 3 Mark erhalten, den Herr Gütermann erhielt, weil er „mit seinem Benz-Motor-Pferd mit einer derartigen Geschwindigkeit durch Denzlingen gefahren sei, dass in einer Gastwirtschaft die Vorhänge geflattert haben.“ Eine interessante Begründung, denn mit dem Einzylindermotor schafft die Victoria gerade mal 26 Kilometer pro Stunde, verbraucht dafür aber über 20 Liter reines Benzin.
Die Ausstellung im einstigen Kornspeicher führt auf rund 5.000 Quadratmetern chronologisch durch alle Epochen und Entwicklungsphasen der individuellen Motorisierung. Präsentiert werden über vierhundert Exponate, darunter viele zweirädrige Vehikel. Möglich wurde dies alles durch den Unternehmer Karl-Heinz Rehkopf. Er gründete als Trägerin eine gemeinnützige Stiftung. Als leidenschaftlicher Fahrzeugsammler brachte er neben einem geschätzten Betrag von vierzig Millionen Euro seine Sammlung deutscher Motorradmarken – die weltweit größte ihrer Art – in die Stiftung ein.
Das lässt Sammlerherzen höher schlagen: ein DKW F 91. Foto: PS.Speicher, Einbeck
Begeisterte Mitstreiter hat er mittlerweile in zahlreichen weiteren Stiftern und etwa siebzig „Ehrenaktiven“ gefunden. Vom obersten Stockwerk abwärts können Besucher interaktiv und mit allen Sinnen nachempfinden, in welchen wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Verhältnissen sich Menschen seit mehr als 150 Jahren auf Rädern bewegen.
An allen Stationen erfahren Besucher anhand der Löhne und Lebensmittelpreise vergangener Jahrzehnte, wie der damalige Neupreis eines Fahrzeugs einzuschätzen ist.
Mobilität im Zeitgeist der 20er-, 50er-, 70er Jahre
Eine Straßenszene der Goldenen Zwanziger, die zerbombte Innenstadt im Zweiten Weltkrieg, eine Milchbar der Fünfzigerjahre mit allen Finessen des Wirtschaftswunders bis zum Disco-Fieber in den Siebzigerjahren: Die szenische Einbettung der Exponate in ihr historisches Umfeld lässt Besucher den Zeitgeist der jeweiligen Epoche sehr gut nachempfinden.
Auch Motorradliebhaber kommen auf ihre Kosten: ob mit der Triumph Thunderbird, 1951 (Foto: PS.Speicher, Einbeck)
... oder einer originalen Vespa – hier werden alte Erinnerungen wach. Foto: PS.Speicher, Einbeck
Dem aus Berlin angereisten Ehepaar Gründler geht wohl auch deswegen die Szenerie direkt nach dem Mauerfall nahe: die Trabbi-Kolonne auf dem Weg in den Westen. „Es war so unglaublich, als die Schlange der Trabbis kein Ende nahm und all die Menschen begeistert und winkend begrüßt wurden. Ich kriege beim Hören der Motorgeräusche Gänsehaut und fühle noch einmal so wie 1989“, spricht Augenzeugin Eleonore Gründler den Ausstellungsmachern ein großes Kompliment aus.
Der Trabant steht hier im Mittelpunkt einer nachgestellten Szene, welche die Trabbi-Kolonne beim Fall der innerdeutschen Mauer 1989 in Berlin andeutet. Foto: PS.Speicher, Einbeck
Aber die Ausstellung wirft auch einen Blick in die Zukunft – ein Zeittunnel zeigt Visionen der Mobilität für morgen auf. Den aktuellen Trend belegen zwei Elektrofahrzeuge, die aus der Sammlung des Kölner Kabarettisten Jürgen Becker stammen. Der leidenschaftliche Motorradfan empfiehlt den Besuch des PS.Speichers wärmstens: „Eine hervorragend kuratierte Ausstellung, in der auch die Entwicklung der Elektromobilität den ihr gebührenden Stellenwert einnimmt!“
PS.Speicher
Tiedexer Tor 3
37574 Einbeck
Tel. 05561 / 88 88
www.ps-speicher.de
Hauptausstellung im Kornspeicher
Tiedexer Tor 3
Eintritt: 19 Euro, ermäßigt 15 Euro (Schwerbehinderte, Ehrenamtskarte)
Fünf weitere Standorte:
Eintritt: jeweils 12 Euro, ermäßigt 8 Euro (Schwerbehinderte, Ehrenamtskarte)
- Sammlung Klein- und Elektrofahrzeuge
Altendorfer Tor 3 - Sammlung Automobil
(historische PKW der Nachkriegszeit)
Bismarckstr. 9 - Sammlung Motorrad
(deutsche und internationale Serienmotorräder)
Bismarckstr. 2 - Sammlung Lkw und Bus
(historische Nutzfahrzeuge, landwirtschaftliche Exponate)
Otto-Hahn-Str. 3–5 - Schatzkammer
Dreißig Traumautos damals und heute.
Nur mit Führung
Bismarckstr. 2.
Sa, So 11 Uhr
Eintritt hier: 17 Euro
PS.Speicher / Öffnungszeiten
April bis Ende Oktober: Di–So 10–18 Uhr,
November bis März: Di–Fr 11–17 Uhr,
Sa, So 10–18 Uhr
Alle Tickets unter www.ps-speicher.de online buchbar.
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Tags: Ausflugstipps , Fahrzeuge , Geschichte , Museum , Oldtimer
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