A- A A+

Reisen/Ausflüge

Batteriebeflügelt in die Berge

Franz Neuhäuser · 19.05.2020

Pause und Kulturereignis: Für das Kloster Ottobeuren steigt Franz Neuhäuser gern vom Rad. Foto: Franz Neuhäuser

Pause und Kulturereignis: Für das Kloster Ottobeuren steigt Franz Neuhäuser gern vom Rad. Foto: Franz Neuhäuser

Mit dem E-Bike sind für jeden Touren in den Bergen möglich. Franz Neuhäuser hat es im Allgäu ausprobiert.

Auch für mich galt, was viele sportlich gesinnte Mitmenschen verinnerlicht haben: Rad fahren – das heißt sich abstrampeln. Der Schweiß muss fließen, die Kraft aus den Beinen kommen. Alles andere ist Verrat am Rad.

Aber die Zeiten ändern sich. Sie sind mir immer mehr aufgefallen: die E-Biker, die an mir vorbeifliegen. Wenn es bergauf geht, wenn Gegenwind herrscht. Wie wäre es da, mal auf einem E-Bike zu sitzen? Von der Batterie beflügelt. Aber geht auch eine mehrtägige Tour mit dem E-Bike? Wenn hundert oder mehr Kilometer am Tag zurückgelegt werden sollen? Mit Gepäck? Ohne Plan? Ohne vorgebuchte Hotels? Die Idee vom Test mit dem Leihrad war geboren.

Freunde reagierten interessiert, überrascht, skeptisch, spöttisch. Bezeichnend eine freche Kurzmitteilung auf dem Handy: „Ach! Schon E-Bike?“ Ja. Ich darf jetzt E-Bike fahren! Lange habe ich mich abgeplagt, bin mit meiner Frau jedes Jahr für etwa eine Woche auf Radtour gewesen, habe ostfriesischem Gegenwind, irischem Regen, tschechischem Kopfsteinpflaster und Schweizer Bergen getrotzt. Aber nun liegt mein 60. Geburtstag hinter mir. Ebenso ein fieser Muskelfaserriss im Oberschenkel.

Ich darf jetzt auch mal ein E-Bike testen. Und wo liegt das beste Testgelände der Welt? Im Allgäu, von Köln aus in rund fünf Stunden mit dem Zug zu erreichen. Das Allgäu, wo es für den Radler nur zwei Richtungen gibt: rauf oder runter.

Sicherheit

Geübten Radfahrern sollte der Umstieg vom Muskel-Rad aufs E-Bike nicht schwerfallen. Ein Training empfiehlt sich aber auch ihnen. Das größere Gewicht, die prompte Beschleunigung, die höhere Geschwindigkeit – damit sollte sich jeder erstmal abseits öffentlicher Straßen vertraut machen. Unverzichtbar: ein gut sitzender Helm.


Erster Tag

Der Radverleih von Monika Echtermeyer, gegenüber vom Bahnhof in Oberstdorf, ist lebhaft besucht. So vielfältig wie die Kunden, so verschieden sind die Modelle, die sie anbietet: „normale“ Räder, spezielle Modelle, mit denen ein Beifahrer transportiert werden kann, Räder, auf denen zwei nebeneinander fahren können, Mountainbikes mit Reifen so wuchtig wie die eines Traktors, …

Das Rad, das Expertin Echtermeyer für mich bereitgestellt hat, sieht eher unspektakulär aus. Wie ein City-Rad, mit dem ältere Herrschaften zum Einkaufen fahren. Aber: Es ist solide, meine Gepäcktaschen lassen sich problemlos befestigen. Die Technik ist einfach. Rechts die gewohnte Gangschaltung, links das E von E-Bike. Der Strom lässt sich auf drei Stufen zuschalten. Eco – Sport – Power. Daneben die Ladestand-Anzeige des Akkus: Zehn Klötzchen sind es beim Start.

Mein Albtraum: dass irgendwo draußen, weit weg vom Ziel, keine Klötzchen mehr da sind. Und dann das schwere Rad bewegen ... Deshalb die Devise: Ich passe auf meine Klötzchen auf. Spare Strom, wo und wann es nur geht. Was anfangs leichtfällt. Von Oberstdorf aus geht es bergab Richtung „Unterland“. Elektrische Verstärkung ist erstmals bei Ofterschwang gefragt. Ein kurzer, fieser, steiler Gegenanstieg. Hier hat „Power“ Premiere. Und tatsächlich: Die Macht ist mit mir. Eine unsichtbare Hand schiebt mich bergan. Verblüffend. Schalte ich aus, ist es, als ob die Luft aus den Reifen gelassen würde.

Dank dosierter Stromzuschaltung verschwindet das erste Klötzchen erst nach 18 Kilometern. Ich komme also 180 Kilometer weit. Rechnerisch. Aber ich traue der Hochrechnung nicht, radle weiter „sparsam“. Nach einer traumhaften Berg-und-Tal-Fahrt stehen am Abend in Wangen etwas über 100 Kilometer auf dem Tacho. Und noch vier Klötzchen. Yippie! Aber: Mein Pulsmesser zeigt in der Spitze über 140 Herzschläge pro Minute. Und im Tagesschnitt sind es fast 120. Gemütlich ist anders. Strom sparen hat seinen Preis.


Gut ausgeschildert, malerisch gelegen: der Radweg zwischen Oberstdorf und Sonthofen. Foto: Franz Neuhäuser

Zweiter Tag

Den Akku habe ich über Nacht im Hotelzimmer geladen, alle Klötzchen wieder da. Und das ist gut so. Auch die Hügel des baden-württembergischen Allgäus fordern den Radler. Besonders, wenn er in lieblicher Landschaft flott vorankommen will. In einem großzügigen Bogen soll der Weg nach Osten, nach Bad Wörishofen führen und dann wieder nach Süden. So mein Plan. Ich folge damit der Allgäuer Radrunde. Findige Fachleute haben unter diesem Markennamen regionale Radwege zu einem imposanten 450-Kilometer-Rundkurs gefügt.

Manchmal aber tut der Radler gut daran, vorgezeichnete Wege zu verlassen. Am Nachmittag ziehen drohende Wolken auf. Im Osten! Über Bad Wörishofen! Dort, wo ich hinwollte. Deshalb: schneller Kurswechsel. Rechts weg, Richtung Süden. Neuer Plan: auf nach Kempten, dort eine Unterkunft suchen. Und hoffen, dass die Wolken im Osten bleiben. Ich bleibe tatsächlich trocken. Kempten aber erreiche ich nicht.

Denn mein Rad hat einen Platten. Auf einem steinigen Feldweg, mitten in viel Landschaft, weit weg vom nächsten Ort, ohne Reparaturausrüstung. Die liegt daheim. Ein blöder Anfängerfehler, böse bestraft.

Es ist kurz vor sechs Uhr abends. Mein Handy, nur noch zu sechs Prozent geladen, zeigt an, dass ich 108 Kilometer gefahren bin, dabei 1.695 Höhenmeter aufwärts bewältigt habe – und 1.445 Meter abwärts. Es stehen noch drei Klötzchen auf der Anzeige. Das nutzt aber nichts. Ich kann nicht mehr fahren. Und ich habe noch kein Bett für die Nacht. Was tun? Ruhe bewahren, Fahrrad schieben. Und hoffen.

Eine Glückssträhne, wie sie jetzt einsetzt – davon hätte ich nicht zu träumen gewagt. Vor einem einsamen Bauernhof sitzt ein Paar, genießt den Feierabend. Sie haben kein Flickzeug und in Probst ried, dem nächsten Ort, gebe es weder Radladen noch Hotel. Aber das Gästehaus Sonner. Bis dahin seien es zehn Minuten.

Nach dreißig Minuten komme ich an. Merke: Eingeborene unterschätzen gerne Entfernungen. Es ist ein Zimmer frei. Und besser noch: Innerhalb von Minuten kümmern sich drei Generationen der Familie Sonner um den gestrandeten Radler. Marion Sonner macht mein Zimmer fertig (das sich als wahrhaftiges Apartment erweist), ihre Schwiegereltern unterhalten mich, Ehemann Alexander und Sohn Yannick sorgen flink und geschickt dafür, dass mein Reifen wieder dichthält. Die einzige Gaststätte im Ort hat Ruhetag. Aber Frau Sonner hat Wiener Würstchen da. Ein Paar oder zwei? Zwei! Nie haben mir Wienerle so gut geschmeckt!

Dritter Tag

Noch ein Glücksfall: Die Wolken sind tief in der Nacht gekommen. Am Morgen sind sie weitergezogen, die Straßen bereits wieder trocken. Die Allgäu-Runde habe ich verlassen. Aber an reizvollen Alternativen mangelt es nicht. Von Probstried ist es nicht weit zum Iller-Radweg, ein Klassiker im Allgäuer Radwegenetz. Bis Oberstdorf geht es flott am Fluss voran, der geflickte Reifen hält.

Mit dem „Alte-Damen-Rad“, das erstaunlich sportlich zu fahren ist, habe ich mich inzwischen angefreundet. Und ich muss heute nicht mit den Klötzchen haushalten, habe keine Probleme, bis zum Abend meinen Zug in Oberstdorf zu erreichen. Es bleibt sogar Zeit für einen Abstecher. Von der Iller die 120 Höhenmeter hinauf nach Ofterschwang? Ohne Strom und mit Gepäck wäre es eine langwierige Plackerei. Dank E-Bike aber ist es kein Problem. 

Während des drei Kilometer langen Anstiegs höre ich hinter mir ein vertrautes Surren: ein Rennradfahrer. Zieht an mir vorbei. Ohne Strom, mit der reinen Kraft der Waden. Wenn ich jetzt auf„Power“ hochschalten würde und etwas kräftiger … Ich lasse es. Ich darf jetzt E-Bike fahren. Das macht Spaß. Aber jeden Spaß sollte man sich nicht erlauben.

Organisation:
Die Tour kann spontan und ohne Reservierung absolviert werden. Es gibt inzwischen – nicht nur im Allgäu – zahlreiche E-Bike Vermieter, darunter auch Hotels und Touristinformationen. Selbst der Transport des Gepäcks von Etappenort zu Etappenort ist möglich.

Information:
Allgäu GmbH, Allgäuer Str. 1,
87435 Kempten,
Tel. 08323 / 802 59 31.

Eine Fundgrube für Radler: www.allgaeu.de/rad

 

Das könnte Sie auch interessieren

Weitere Ausflugstipps für Senioren: Barrierefrei reisen: Reisen für Menschen mit Handicap
Allein verreisen: Solo in die Fremde
Unterwegs mit dem Wohnmobil
Mehr zum Thema Fahrrad und E-Bike: Sicher mit dem Fahrrad unterwegs.

Tags: Ausflugstipp für Senioren , Radtour mit dem E-Bike

Kategorien: Reisen/Ausflüge