Wohnen
Pflege-Wohngemeinschaft – eine gute Alternative zum Pflegeheim?
Sabrina Steiger · 27.01.2025

In Pflege-Wohngemeinschaften ist Arbeitsteilung essenziell: Bewohnende, Pflegekräfte und Angehörige gestalten gemeinsam den Alltag. Foto: Thomas Banneyer
Ein großer Esstisch, im Hintergrund die Küchenzeile, der Blick geht durch die Terrassenfenster auf den Garten. Sieben Bewohnerinnen der Wohngemeinschaft (WG) „Schmetterlinge“ sitzen beim Kaffee, die achte läuft auf und ab. Ein Quiz ist im Gange. „Wer hat ‚Mit 66 Jahren‘ gesungen?“, fragt Vanessa Kahn vom Pflegedienst und stimmt das Lied kurz an. „Oh, den kann die Mama nicht leiden“, sagt Karoline Zimmer mit Blick auf ihre Mutter. „Wer war das denn?“, fragt die. „Na, der Udo Jürgens!“
Karoline Zimmer (stehend), ihre Mutter Josefine Zimmer und Vanessa Kahn vom Pflegedienst. Foto: Thomas Banneyer
Die 89-jährige Josefine Zimmer und ihre Tochter gehören zu den Gründern der Pflege-WG für Menschen mit Demenz, kurz auch Demenz-WG, die im Mai 2023 an den Start gegangen ist. „Ich habe meiner Mutter versprochen, du kommst nicht ins Heim“, erzählt Karoline Zimmer. Doch die Pflege zu Hause überforderte die heute 62-Jährige irgendwann. Als sie hörte, dass die Wohnungsbaugesellschaft GAG Immobilien AG in Bickendorf eine neue Wohnung für eine eigenverantwortlich geführte Demenz-WG baut, war sie sofort dabei. „Das Konzept hier finde ich toll“, sagt sie. „Aber ich habe es mir einfacher vorgestellt.“
Denn von den Angehörigen, die die Pflegebedürftigen meist gesetzlich vertreten, wird bei dieser Betreuungsform einiges erwartet: Sie sind dafür verantwortlich, dass alles läuft. Das bringt rechtliche und finanzielle Verpflichtungen mit sich, und vor allem: viel Arbeit.
Die Pflege-WG der „Kölner Weg“
„Alleine hätte ich das nicht geschafft“, sagt Karoline Zimmer. Begleitet wurden sie und die anderen Familien bei der Gründung von der gemeinnützigen Gesellschaft „Wohnkonzepte Schneider“. Deren Chefin Monika Schneider hat zusammen mit der GAG ein Modell für Pflege-WGs entwickelt, das „Kölner Weg“ genannt wird.
Dabei bilden die Bewohner, vertreten durch ihre Angehörigen, eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR), die gegenüber der GAG als Generalmieter auftritt. Die „Wohnkonzepte Schneider“ unterstützt bei Verwaltungsaufgaben, wickelt zum Beispiel die Das Mietzahlungen ab. Sie hilft auch dabei, einen Wohnberechtigungsschein zu beantragen. Den brauchen die einzelnen Mieter, wenn der Bau der Wohnungen öffentlich gefördert wurde.
Barrierefrei wohnen – das erleichtert alten Menschen den Alltag und ermöglicht mehr Mobilität. Foto: Thomas Banneyer
Wer eine Pflege-WG plant, kann das auch mit einer bestehenden Immobilie tun. Aber nach der Erfahrung von Monika Schneider beginnen schon da die Schwierigkeiten: Wohnungen in geeigneter Größe gibt es nicht. „Eine Pflege-WG rechnet sich erst ab acht Bewohnern“, erklärt sie. Noch besser seien zehn. Die brauchen alle ein eigenes Zimmer mit Bad, eventuell rollstuhlgerecht, hinzu kommen das gemeinsame Wohnzimmer und die große Küche. Vorzugsweise ebenerdig und mit Garten. Solche Wohnungen müssten erst gebaut werden. Und so sind es oft die Wohnungsbaugesellschaften, die sie planen, seltener die späteren Bewohner und ihre Familien.
Das gemütliche Wohnzimmer mit Fernseher und bequemen Sesseln wird gemeinschaftlich genutzt. Foto: Thomas Banneyer
Trotz Förderung – so teuer wie ein Pflegeheim
Bei weniger als acht Bewohnern werde die WG für den Einzelnen zu teuer, sagt Schneider. Diese Betreuungsform koste selbst mit geförderten Wohnungen nicht weniger als ein Platz im Pflegeheim. Für die Miete müssen laut einer Berechnung von Schneider für WGs dieser Größe ungefähr 480 Euro inklusive Nebenkosten, dazu 300 Euro Haushaltsgeld und 140 Euro für die Verwaltung einkalkuliert werden.
Den größten Block machen aber die Kosten für Pflege und Betreuung aus, also die Personalkosten. „Sie brauchen zehn Stellen, ob für drei Bewohner oder acht, ist ganz egal“, so Schneider. Schließlich müssten 24 Stunden an 365 Tagen im Jahr abgedeckt werden. „Und es soll auch nicht immer nur einer da sein.“
Das Personal kümmert sich um alle Belange der Bewohner und Bewohnerinnen – von gesunder Verpflegung bis Alltagsbegleitung und Freizeitprogramm. Foto: Thomas Banneyer
Bei den „Schmetterlingen“ sind jeweils zwei Mitarbeitende des Krankenpflegedienstes im Früh- und Spätdienst eingesetzt, einer in der Nacht. Sie pflegen die Bewohnerinnen – helfen beim Anziehen und der Körperhygiene, geben nach ärztlicher Anweisung Medikamente. Im Unterschied zum Heim gilt das jedoch nicht als stationäre Pflege. Denn die Menschen sind in der WG zu Hause, das heißt, der Pflegedienst versorgt sie ambulant. Mit der Betreuung rund um die Uhr wird der Dienst zusätzlich beauftragt: etwa mit den Bewohnerinnen zu spielen, das Mittagessen zu kochen, aufzupassen.
Mit etwa 2.200 Euro pro Person muss man im Durchschnitt also rechnen. Von der Pflegekasse gibt es verschiedene Zuschüsse: 214 Euro Wohngruppenzuschlag im Monat, außerdem Pflegesachleistungen, die sich nach dem Pflegegrad des Bewohners richten. Für Pflegegrad 3 zum Beispiel sind das 1.432 Euro im Monat. Wer den Rest nicht selbst zahlen kann, hat die Möglichkeit, beim Amt für Soziales, Arbeit und Senioren „Hilfe zur Pflege“ zu beantragen. Dann übernimmt die Stadt den Eigenanteil.
Als Anschubfinanzierung können Bewohner außerdem von der Pflegekasse 2.500 Euro bekommen. Davon hat eine der GAG-WGs zum Beispiel einen Handlauf gebaut, eine andere die Küche angeschafft.
Selbstverantwortung für Angehörige
Vor allem organisatorische Fragen müssen bei den Gesellschafter-Sitzungen alle sechs Wochen besprochen werden. Auch dabei berät Schneider, entscheiden müssen die GbR-Mitglieder: Wer darf einen Schlüssel haben? Wechseln wir den Stromanbieter? Schaffen wir eine Leiter an? Und, ganz wichtig: Wer darf neu einziehen, wenn eine Bewohnerin verstorben ist?
Wie in jeder WG gibt es schon mal Konflikte, untereinander oder mit dem Pflegedienst. „Aber wir können nicht zur Stadt Köln gehen und sagen, hier ist was nicht in Ordnung. Das müssen wir selber regeln“, sagt Karoline Zimmer. Die WTG-Behörde der Stadt, auch bekannt als Heimaufsicht, berät nur zu Beginn und prüft in regelmäßigen Abständen, ob die Selbstverantwortung noch funktioniert. Pflichten, Mitspracherecht und auch Freude: „Wer einfach nur einen Betreuungsplatz sucht, ist hier falsch“, meint Monika Schneider.
Ohne eine Hausordnung läuft keine WG. In der WG "Schmetterlinge" gelten zuallererst Familienregeln. Foto: Thomas Banneyer
Bei den Schmetterlingen feiern die Angehörigen regelmäßig Feste mit den Bewohnerinnen. „Ich habe mit ihnen eine Ballermann-Party gemacht“, sagt Karoline Zimmer, „was hatten wir für einen Spaß!“
In Bickendorf ist es Abend geworden. Vanessa Kahn schmiert Butterbrote; einige Bewohnerinnen helfen dabei. Andere schauen noch einen Film über Köln in den 60er Jahren. Die große blaue Couch hat Josefine Zimmer mit in die Wohnung gebracht. Ihre Tochter bereut es nicht, sich auf das Abenteuer Pflege-WG eingelassen zu haben. Denn: „Meine Mutter fühlt sich total wohl hier.“
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Welche WG-Form ist für Senioren geeignet?
- Anbieterverantwortete Pflege-WGs sind von einem Unternehmen wie einem Pflegedienst oder Wohlfahrtsverbänden gegründete und betriebene Einrichtungen.
- Eigenverantwortete Pflege-WGs sind von den Bewohnern oder deren Angehörigen selbst ehrenamtlich organisierte und betriebene Einrichtungen.
Besonders von an Demenz erkrankten Menschen und ihren Angehörigen wird diese Wohnform geschätzt. 23 eigenverantwortete Pflege-WGs mit 174 Plätzen waren 2022 bei der Stadt Köln registriert.
Wo bekommt man gute Informationen und Beratung zum Thema WG-Gründung für Senioren?
Kontakte beim Beratungstelefon für Senioren und Menschen mit Behinderung:
Tel. 0221 / 221-2 74 00, Adressen auch auf www.stadt-koeln.de/beratungstelefon
Erstberatung zur Orientierung:
Amt für Soziales, Arbeit und Senioren, WTG- Behörde (WTG = Wohn- und Teilhabegesetz), früher Heimaufsicht, Bezirksrathaus Kalk, Kalker Hauptstr. 247–273, Terminvereinbarung: Tel. 0221 / 221-2 74 04, www.stadt-koeln.de
Beratung gegen Bezahlung:
Schneider Wohnkonzepte gGmbH, Tel. 0221 / 12 08 05-0, www.wohnkonzepte-schneider.de
Schauen Sie einen Film über eine WG mit an Demenz erkrankten Menschen in Köln auf Vimeo: "KÖLN BEWEGT - LEBEN IN EINER DEMENZ WG" (Dauer: 26,31 min)
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Tags: Alternative Wohnformen , Barrierefreiheit , Betreutes Wohnen , Demenz , Senioren-WG , Wohngemeinschaft