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Leben in Köln

Kölner Tafeln: Verteilen, um zu versorgen?

Philipp Haaser · 09.04.2023

In den Ausgabestellen des Tafel e. V. stehen den Bedürftigen verschiedene Lebensmittel zur Auswahl. Jede Woche sind es andere, je nachdem welche gerettet wurden. Foto: Martin Niekämper

In den Ausgabestellen des Tafel e. V. stehen den Bedürftigen verschiedene Lebensmittel zur Auswahl. Jede Woche sind es andere, je nachdem welche gerettet wurden. Foto: Martin Niekämper

Ursprünglich gegründet, um Lebensmittel zu retten, helfen Einrichtungen wie die Tafel Menschen mit wenig Einkommen, sich mit Nahrung zu versorgen. Eine Bestandsaufnahme in schwierigen Zeiten.

In Deutschland landen Tag für Tag Unmengen von Lebensmitteln im Müll. Im Schnitt wirft jeder Einwohner 78 Kilogramm im Jahr weg. Hinzu kommen die Waren, die die Groß- und Einzelhändler nach Ladenschluss unverkauft aussortieren. Nicht zu vergessen der Anteil, der schon bei der Produktion, auf den Bauernhöfen und in den Betrieben, als Ausschuss anfällt. Insgesamt sind es elf Millionen Tonnen. Doch die Ressourcen zum Nahrungsanbau wie Wasser, Anbauflächen und Rohstoffe für mineralische Dünger sind begrenzt, es gilt sie effizient zu nutzen.

Seit dreißig Jahren versuchen daher Aktivistinnen und Aktivisten das positive Bild der Lebensmittelrettung der Vernichtung entgegenzusetzen. 1993 entstand die erste „Tafel“. Inzwischen sammeln bundesweit über 950 Tafeln als gemeinnützige Vereine noch brauchbare Lebensmittel ein, über 60.000 ehrenamtlich Helfende verteilen sie an Bedürftige. Heute verzeichnen sie einen noch nie dagewesenen Zulauf.

Lebensmittel retten und Geld sparen

Die meisten der 43 Ausgabestellen in den Kölner Stadtteilen haben derzeit einen Aufnahmestopp verhängt. Sie sind dem Andrang nicht gewachsen. Ein Besuch bei der Tafel ist aber nicht die einzige Möglichkeit, gleichzeitig verderbliche Waren vor der Müllverbrennung zu retten und den eigenen Geldbeutel zu schonen.

Seit 2019 verfolgt die Bundesregierung das Ziel, die Lebensmittelverschwendung bis 2030 zu halbieren. Anfang des Jahres rückten deshalb Ernährungsminister Cem Özdemir, Grüne, und Justizminister Marco Buschmann, FDP, das „Containern“ in den Fokus. Sie wollen erreichen, dass die Entnahme von noch genießbaren Lebensmitteln aus den Abfallcontainern von Supermärkten straffrei wird. Vorausgesetzt, es werden dabei keine Tore oder Schlösser aufgebrochen und kein Schaden angerichtet. Umsetzen müssen das nun die Länder.

Aktivisten, die in den Medienberichten der vergangenen Jahre über ihre Motive sprachen, nannten neben der Selbstversorgung und dem Wunsch, ein Zeichen gegen die Verschwendung zu setzen, immer wieder auch die Weitergabe an Bedürftige.

Tafeln – ein Armutszeugnis?

In den meisten deutschen Städten haben sich die Tafeln etabliert. Sie kooperieren mit Supermärkten, Bäckereien und Großhändlern, die ihnen größere Mengen von überschüssigen Waren ankündigen. Die Tafeln holen sie ab, sortieren und liefern an Ausgabestellen.


Fleißige Hände stellen die Lieferungen für die Ausgabestellen der Tafeln zusammen. Foto: Philipp Haaser

Wie alle Lebensmittelretter sagen auch die Ehrenamtler der Tafeln, dass es ihnen am liebsten wäre, wenn es sie gar nicht gäbe. Sie nennen dafür gleich zwei Gründe. Es sei Aufgabe des Staates, zu verhindern, dass Menschen auf Lebensmittelspenden angewiesen sind. Und zugleich wollen sie auf die Lebensmittelverschwendung aufmerksam machen, die sie zwar kritisieren, dank derer sie aber den Ärmsten einstweilen ein wenig Entlastung verschaffen können.

„Unsere Aufgabe ist, Lebensmittel zu retten, nicht, wirtschaftliche Not auszugleichen“, sagt Karin Fürhaupter. Sie ist eines von zwei Vorstandsmitgliedern des Kölner Tafel e. V., der eine große Lagerhalle in einem Rodenkirchener Gewerbegebiet als Stützpunkt nutzt. „Wir können die Bedürftigen mit den geretteten Lebensmitteln entlasten“, sagt sie, eine dauerhafte Lösung sei das aber nicht. Für Fürhaupter ist die Rolle der Tafeln klar begrenzt, auch wenn sich nicht von der Hand weisen lässt, dass sie bis auf weiteres unverzichtbar sein werden.

In Köln muss niemand hungern

„So traurig es ist: Die Tafeln sind in Köln wie auch bundesweit inzwischen nicht mehr wegzudenken. Mir wäre es aber lieber, Menschen müssten gar nicht auf dieses Angebot zurückgreifen“, sagt auch der Kölner Sozialdezernent Dr. Harald Rau. Er versichert: „In Köln muss niemand hungern“, und verweist auf Sozialleistungen, wie Bürgergeld oder Grundsicherung im Alter. Niemand müsse sich schämen, diese Leistungen auch zu beantragen. Trotzdem: Die steigenden Lebenshaltungskosten infolge des Ukrainekriegs verschärfen für viele Menschen die Lage. Er sei deswegen dankbar für die „vielfältigen staatlichen und privat organisierten Hilfsangebote in unserer Stadt“.


In den Good-Food-Läden zahlt man für einwandfreie, aber nicht der Verkaufsnorm entsprechende Lebens- mittel das, was sie einem wert sind. Foto: Simon Veith.

Auf der anderen Seite könne eine dauerhafte Unterstützung der Tafeln oder anderer Lebensmittelausgaben keine Aufgabe für die Stadt sein. Ausreichend Geld für Lebensmittel sei in Deutschland „grundsätzlich von den vom Bund festgelegten Regelsätzen abgedeckt“, so Dr. Rau weiter. Die Stadt könne deshalb kein „zusätzliches Hilfesystem“ unterhalten. Einige der städtischen Bürgerhäuser und -zentren kooperieren aber mit der Kölner Tafel und den ehrenamtlichen Initiativen, indem sie ihre Räume als Ausgabeorte zur Verfügung stellen.

Auf bis zu 13 Touren kommen Fürhaupter und ihre 150 ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer täglich. Mit Kühl-Lieferwagen sammeln sie die Lebensmittelspenden ein und beliefern die Ausgaben, die von Kirchengemeinden, Vereinen oder Nachbarschaftsinitiativen organisiert werden. Die Verantwortung für die Verteilung liegt bei diesen Trägern. Die Tafel gibt vor, dass die Empfänger ihre Bedürftigkeit nachweisen müssen, mit dem Köln-Pass, den die Stadtverwaltung ausgibt, oder einem Bescheid, der sie als Arbeitslosengeld-II-Empfänger ausweist. Eine Anmeldung ist bei allen Ausgaben deshalb notwendig.


Lebensmittel von Supermärkten und anderen Spendern werden zum Zentrallager in Rodenkirchen gebracht.
Foto: Martin Niekämper

An die Grenzen gestoßen

Fürhaupter sagt, mit dem Beginn des Ukrainekriegs sei die Nachfrage enorm gewachsen, auch wegen der geflüchteten Menschen, die in Köln Schutz suchen und oft eben auch bedürftig sind. Das System der Tafeln stoße in vielerlei Hinsicht an seine Grenzen. Die Menge der Lebensmittel sei dabei gar nicht entscheidend. Vielmehr seien Lagerkapazitäten, Räume für die Ausgaben und die helfenden Hände begrenzt. Sogar die Parkplätze für die Transporter in Rodenkirchen seien mittlerweile voll belegt.

Einzelne Tafeln sind dazu übergegangen, die Ausgabe in zwei Schichten zu unterteilen, die wöchentlich abwechselnd an der Reihe sind. Lediglich neue Ausgabestellen könnten den zusätzlichen Bedarf auffangen. Im SeniorenNetzwerk Deutz hat man schon während der Corona-Hochphase den Gedanken diskutiert, eine Lebensmittelausgabe speziell für die armen älteren Menschen im Stadtteil einzurichten. „Sie haben zu wenig Ellenbogen, um sich bei einer normalen Ausgabe stundenlang anzustellen“, sagt Annetta Ristow, die das Netzwerk koordiniert.

Um die vierzig bedürftige Personen haben sich bei ihr und ihren Mitstreiterinnen registriert, alle aus Deutz, das war den Mitarbeitenden wichtig. Manche der Empfänger berichten, dass ihnen das Geld am Monatsende nicht reiche. Einigen haben insbesondere die Lebensmittel kurz vor Silvester eine große Erleichterung verschafft. Sonst, das glaubt Ristow, hätte der eine oder andere nicht mehr genug zu essen im Haus gehabt. „Es ist uns allen klar, dass wir lieber in einer Welt leben würden, in der das nicht nötig ist. Aber es gibt die bedürftigen Menschen ja“, sagt Ristow.

Die Grundsicherung im Alter decke die wirklichen Kosten oft nicht, sagt sie. Und viele Senioren würden sich schämen, Hilfsangebote in Anspruch zu nehmen. Diesen Menschen wollen sie mit den gespendeten Waren unter die Arme greifen. Sie rechnet damit, dass ihre Zahl weiter anwächst, wenn in den nächsten Monaten die Preise weiter ansteigen, ganz zu schweigen von den jetzt schon hohen Energiepreisen, auch wenn sie gedeckelt wurden.

Adressen in Köln

Kölner Tafel e. V.
Kirschbaumweg 18a,
50996 Köln

Tel. 0221 / 35 10 00
www.koelner-tafel.de
Es werden immer freiwillige Helfer gesucht!
E-Mail an: info@tafel.koeln

Essensretter e. V.
Der Verein sammelt Lebensmittel, die nicht mehr verkauft werden dürfen, und gibt sie kostenlos ab.
Worringen: St.-Tönnis-Str. 47
Mülheim: Bruder-Klaus-Platz 2 '
Roggendorf: Reitanlage Haus Furth, Further Weg 55
www.essensretter.com (noch im Aufbau)

„The Good Food“-Läden
Ehrenamtlich betriebene Läden für gerettete Lebensmittel, oft in Bioqualität.
Ehrenfeld: Venloer Str. 414
Agnesviertel: Neusser Platz 22 und IGLU, Sudermanplatz 1
Sülz: im Büdchen Casablanca, Sülzburgstr. 164
www.the-good-food.de

Gerettete Lebensmittel günstig kaufen

Die „Rettertüte“ für alle
Die Supermarktkette Lidl bietet die Tüten mit stark reduzierten Lebensmitteln an, die sich für den normalen Verkauf nicht mehr eignen.

Online: foodsharing.de
Auf der Website informieren Menschen über von ihnen gerettetes Essen oder Lebensmittel. Kostenlos abholbar an bisher 39 „Fairteiler-Stellen“ in Köln, das sind Regale, Körbe oder Kühlschränke. Zu finden auf www.foodsharing.de/karte

Apps und Abos:

App „Too good to go“ für Angebote geretteter Lebensmittel aus Läden und Restaurants in der direkten Nähe: www.toogoodtogo.com

Sirplus und Etepetete aus Köln bieten Vorbestellungen und Abos für abgelaufene, aber noch genießbare Produkte oder nicht normgerechtes Obst und Gemüse an.
www.sirplus.de, www.etepetete-bio.de

Welche Nachweise müssen für Bedürftige vorzeigen?

Auf der Webseite der Kölner Tafel erfahren Sie alle Ausgabestellen. Eine Anmeldung und ein Nachweis der Bedürftigkeit sind erforderlich, dazu reicht der Köln-Pass, Hartz-IV- oder Rentenbescheid.

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Tags: Armut , Ehrenamt , Lebensmittelrettung

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