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Lesben in Köln

Marie Breer · 21.09.2023

Andrea (links) und Marie genießen ihre Zweisamkeit. Foto: Sabine Große-Wortmann

Andrea (links) und Marie genießen ihre Zweisamkeit. Foto: Sabine Große-Wortmann

Zahlreiche Frauen über 60, die ihre Liebe zum gleichen Geschlecht offen zeigen, leben in Köln. Sie wohnen, arbeiten, gehen in Rente. Sind trotzdem gesellschaftlich fast unsichtbar. Ein Einblick in ihre Lebenssituation.

Seid ihr Schwestern? Die Frage haben Andrea (64) und Marie (69) schon häufig gehört. Immer wieder machen sie die Erfahrung: Trotz des gleichen Nachnamens fühlen sie sich, zwei Frauen jenseits der 60, oft nicht als Paar wahrgenommen, wenn sie nicht gerade Händchen halten. Da stellt sich die Frage: Wird Lesbisch sein und Alter heute immer noch – selbst im toleranten und weltoffenen Köln – ignoriert oder gar diskriminiert?

Heute ist die Lebenssituation älterer lesbischer Frauen in Köln geprägt von einer Mischung aus Fortschritt und Herausforderungen. Zum einen ist Homosexualität, zumindest gesellschaftlich, kein absolutes Tabu mehr, seit 2017 gibt es die Ehe für alle. Mit der „Outin Church“-Initiative Anfang 2022 bewegt sich sogar die katholische Kirche etwas. Die Generation 60 plus der offen lesbisch lebenden Frauen hat mit ihrem Kampfgeist maßgeblich dazu beigetragen. Sie stellen die Mehrheit der mindestens rund 25.000 Lesben und Schwulen über 60 Jahren, die nach Schätzung des Beratungszentrums Rubicon in Köln leben.

Dennoch: Nach Recherche-Ergebnissen des BLSJ (Bund Lesbischer und Schwuler JournalistInnen), zu dessen Vorstand Marie gehört, denkt die Mehrheitsgesellschaft zuerst an Männer, wenn von Homosexuellen die Rede ist. Die mangelnde Medienpräsenz von Lesben und ihr eher unauffälliges Erscheinungsbild tragen dazu bei, dass selbst in Köln oft gesagt wird: „Ich kenne gar keine Lesben.“

Unauffällig – doch angefeindet

„Ihr seht doch gar nicht so aus“, fällt unter die harmlosen Bemerkungen, denen Andrea und Marie, seit 15 Jahren verpartnert, dann verheiratet, immer wieder begegnen.

Dass Heterosexualität einfach vorausgesetzt wird, hat Marie schon oft erlebt: „Das zeigen Fragen wie ‚Was macht denn Ihr Mann?‘, wenn jemand meinen Ehering bemerkt.“ Nicht gerade sensibel, aber „so etwas prallt mittlerweile einfach ab“, meint Andrea. Schlimm seien die richtig herben verbalen Verletzungen, die bei ihr und Marie beim Coming-out in der Familie begonnen haben: Als ihre Mütter sie als „krank“ und „ekelhaft“ beschimpft haben.


Marie (links) und Andrea teilen auch schmerzliche Erfahrungen – denn lesbische Frauen befinden sich immer noch am Rand der Gesellschaft. Foto: Sabine Große-Wortmann

Unterschwellig abwertende Bemerkungen – vor allem im privaten Umfeld – bis hin zu deutlichen Anfeindungen kennt auch Katharina (73): „Ich habe viele Kränkungen erlebt.“ Das reicht von bissigen Vorwürfen ihrer Mutter, als sie ihr mit Anfang 30 erzählte, dass sie sich in eine Frau verliebt habe, bis hin zu Kommentaren wie „Du bist ja keine richtige Frau.“

Ihre sexuelle Orientierung zu verschweigen war und ist für sie dennoch keine Option: „Ich habe gelernt, zu mir zu stehen.“ Im Frühjahr ist sie in eine kleine Wohnung der Sozial- Betriebe-Köln (SBK) in Riehl gezogen. Mit einer Holzperlenkette in Regenbogenfarben um den Hals ist sie als lesbische Frau erkennbar. Aber die meisten ihrer neuen Nachbarn „checken das wahrscheinlich nicht“, meint sie lachend.

„Bis Anfang der 1990er Jahre mussten Frauen im Scheidungsverfahren den Entzug des Sorgerechts für ihre Kinder fürchten, weil das Gericht bei einer lesbisch lebenden Mutter das Kindeswohl gefährdet sah.“

Andrea Bothe, Koordinatorin des Netzwerks „Lesbische ALTERnativen Köln

Wer sie anspreche, bekomme eine Antwort, aber für ungefragtes Aufklären sieht sie keinen Anlass. „Andere kommen ja auch nicht daher und sagen ‚Hallo, ich bin neu hier, und ich bin heterosexuell‘.“ In ihrem Beruf als Einrichtungsberaterin ging Katharina allerdings in die Offensive, und sie fuhr gut damit: „Bei meinen Arbeitsstellen wussten sie immer Bescheid, ich habe nie Probleme bekommen.“

Andere Frauen aber, gar nicht wenige, waren Bedrohungen und Gewalt ausgesetzt, sie haben sich selbst verleugnet und ein angstbesetztes Leben geführt, weiß Andrea Bothe, Koordinatorin des Netzwerks „Lesbische ALTERnativen Köln“, das an die Beratungsstelle „Rubicon e. V. angegliedert ist.

Sie nennt ein krasses Beispiel für Diskriminierung: „Bis Anfang der 1990er Jahre mussten Frauen im Scheidungsverfahren den Entzug des Sorgerechts für ihre Kinder fürchten, weil das Gericht bei einer lesbisch lebenden Mutter das Kindeswohl gefährdet sah.“

Christopher Street Day (CSD) und andere Netzwerke in Köln

Das seit 2005 bestehende Netzwerk bietet älteren Lesben die Möglichkeit, sich auszutauschen, politisch aktiv zu sein und eigene Ideen zu verwirklichen. Da diese Generation oftmals keine oder wenig familiäre Unterstützung erfährt sowie häufig keine Kinder hat, spielen gerade für Alleinstehende diese Gruppen eine große Rolle. Sie werden zum Teil als „Ersatzfamilie“ empfunden.


Katharina mit der Regenbogenflagge, dem Symbol für Vielfalt. Foto: Marie Breer

Sie bieten soziale Kontakte und schaffen auch Sichtbarkeit: Beim Christopher Street Day (CSD) ist die Gruppe „Golden Girls“ im Demo-Zug dabei und ist auf dem Alter Markt an einem Infostand des Netzwerkes ALTERnativen beteiligt, der „immer proppevoll ist“, so Andrea Bothe. Katharina engagiert sich seit langem bei den „Golden Girls“, darüber hinaus hat sie sich einen breiten Freundes- und Bekanntenkreis aufgebaut. „Ich bin allein, aber nicht einsam und schätze meine Freiheit“, sagt sie.

Kölner Schwulen- und Lesben-Szene

Was sie vermisst in Köln? Sie fände es schade, dass es das 1968 von Ma Braungart eröffnete Kultlokal „George Sand“ nicht mehr gibt, das in den 1980er Jahren entstandene Schwulen- und Lesbenzentrum (SCHuLZ), das Szenelokal „Gezeiten“ oder die Lesbenbar „Schappo-Klack“. Denn damit sei auch ein Stück lesbische Sichtbarkeit in der Öffentlichkeit verschwunden. Die traditionsreichen Frauenkneipen fehlen auch Marie und Andrea.

Dazu fällt, um Ärger aus dem Weg zu gehen, der Verzicht auf homophobe Urlaubsziele wie Ägypten, Türkei oder Ungarn oft nicht leicht. Doch das sehen sie als Luxusproblem, denn andere lesbische Frauen ihrer Generation können sich gar keinen Urlaub leisten. Gerade die Pionierinnen, die in den 1970er bis 1990er Jahren in der Frauenbewegung engagiert waren, haben oft schlecht bezahlte Jobs in Kauf nehmen müssen oder unentgeltlich für Projekte gearbeitet. Dazu blieb ihnen eine Ehe oder eingetragene Partnerschaft mit allen Vorteilen des deutschen Steuerund Sozialsystems verschlossen.


Wohnen und Leben im Alter sind für viele Schwule und Lesben ein wichtiges Thema. Foto: Sabine Große-Wortmann

Nach Erfahrungen des Dachverbandes „Lesben und Alter e. V.“ treiben die Themen Altersarmut und Wohnperspektiven ältere lesbische Frauen besonders um, erläutert Vorstandsfrau Carolina Brauckmann. In Köln ist günstiger Wohnraum bekanntlich rar, ebenso Wohnprojekte für Lesben, Schwule, Bi- und Transsexuelle wie etwa die „villa anders“. Brauckmann ist im Rubicon auch für die lesbischschwule offene Seniorinnenarbeit zuständig.

Noch gibt es in Köln wenige Seniorenbegegnungszentren und -angebote, die Menschen unabhängig von ihrer sexuellen Orientierung vermitteln: Hier bist du erwünscht und kannst sein wie du bist. Ein guter Ansatz ist der Buchforster Nachbarschaftstreff BuNT des Vereins „Zu Huss“, der auch mal zum queerbunten Maitanz einlädt. „In diesem Bereich ist noch viel Luft nach oben“, so Brauckmann.

Pflege ohne familiäre Hilfe

Wie sieht es in der Pflege aus? „Ich habe keine Familie, auf die ich bauen kann“, sagt Katharina. Vielen lesbischen Frauen geht es so. Sie sind bei zunehmenden gesundheitlichen Problemen komplett auf professionelle Hilfe angewiesen. Nicht selten verbergen sie dann aus Angst und Unsicherheit die eigene Identität. Denn gerade in einer Abhängigkeitssituation wollen sie Zurückweisung und Ausgrenzung nicht erneut erleben.

„Ich habe gelernt, zu mir zu stehen.“

Katharina, Mitglied der „Golden Girls“

In ihrem SBK-Umfeld fühlt sich Katharina in dieser Hinsicht „sicher“. In Köln leistet nach Meinung von Andrea Bothe und Carolina Brauckmann vor allem die AWO auf diesem Gebiet beispielhafte Arbeit. „Bei uns gehört es schon lange zum Konzept, in der Pflege einen diskriminierungsfreien Raum zu schaffen“, erläutert Elisabeth Römisch, die mit dem Arnold-Overzier-Haus und dem Theo-Burauen-Haus zwei Senioreneinrichtungen leitet. Am wichtigsten sei die Schulung und Sensibilisierung der Pflege- und Betreuungskräfte.

Nachdem sich das Arnold-Overzier-Haus bereits am Modellprojekt „Queer im Alter“ beteiligt hat, bewirbt sich die AWO jetzt für die beiden Kölner Häuser und die Ambulante Pflege um das Qualitätssiegel „Lebensort Vielfalt“. Zudem ist in dem neuen Senioren- und Wohnprojekt in Zündorf, das in diesem Jahr fertig gestellt wird, ein Haus mit elf Mietwohnungen für nichtheterosexuelle Menschen reserviert.

Andrea und Marie hoffen, noch lange in ihren eigenen vier Wänden bleiben zu können. Sie schätzen ihr eigenständiges und abwechslungsreiches Leben – und den intensiven Kontakt zu Sohn und Tochter, die Andrea „mit in die Ehe gebracht“ hat, sowie zu deren Familien.

Ein starkes Zeichen für Vielfalt, lesbische Sichtbarkeit und generationsübergreifendes Engagement


Foto: Andrea Bothe

Am 12. September 2023 hat Bundesministerin Lisa Paus auf einer feierlichen Veranstaltung in Berlin die Preisträgerinnen und Preisträger des Fotowettbewerbs „VielfALT“ der BAGSO (Bundesarbeitsgemeinschaft Seniorenorganisationen e.V.) ausgezeichnet. „Die Fotos sind ein starkes Signal für differenzierte Altersbilder: Sie zeigen, dass Individualität, Engagement und Mut unabhängig vom Lebensalter sind“, so die Ministerin. Unter den prämierten Fotos ist ein Bild von Andrea Bothe, Netzwerkkoordinatorin der lesbischen ALTERnativen bei rubicon e.V. Es zeigt Betty von den Golden Girls, die zusammen mit ihrer Enkelin auf dem Kölner CSD „Für Menschenrechte – Viele. Gemeinsam. Stark!“ demonstriert. Das Foto machte den 2. Platz in der Kategorie „Gemeinsam geht was. Jung und Alt im Austausch". Für rubicon e.V. war die Netzwerkkoordinatorin in Berlin und nahm den Preis und die Gratulation der Ministerin entgegen.

Mehr Infos

 

Was heißt Coming-out?

Das ist die englische Bezeichnung für „herauskommen“ – das selbstbestimmte Bekanntmachen der eigenen sexuellen Orientierung

Was heißt Homophobie?

Das ist der Fachbegriff für eine ablehnende bis feindliche Einstellung gegenüber homosexuellen Menschen.

Netzwerke und Adressen für Schwule und Lesben in Köln

Rubicon e. V.
Beratungszentrum für lesbische, schwule, bisexuelle, trans, inter und queer lebende Menschen.
Rubensstr. 8–10,
Tel. 0221 / 27 66 999–0,
E-Mail: info@rubicon-koeln.de
www.rubicon-koeln.de

Golden Girls – Lesben 50+
Jeden 2. und 4. Montag im Monat ab 18 Uhr, Sa/So Aktivitäten wie Brunch, Wandern, Kino etc.

Lokal
Alte Feuerwache,
Melchiorstr. 3
Tel. 27 66 999-45,
E-Mail: andrea.bothe@rubicon-koeln.de

Zu Huss e. V.
und Nachbarschaftstreff BuNT
Pyrmonter Str. 16,
Tel. 0221 / 64 25 61,
E-Mail: kontakt@zuhuss.com
www.zuhuss.com

LesBüz – Lesben* Stammtisch Ehrenfeld (Lesben* 50+)
Jeden 2. Freitag im Monat ab 18 Uhr
Bürgerzentrum Ehrenfeld,
Venloer Str. 429,
E-Mail: lesbuez@posteo.de
www.lesbuez.jimdofree.com

Lesben-Single-Stammtisch Köln (45+)
Alle 14 Tage dienstags ab 19 Uhr im Kattwinkel,
Greesbergstr. 2,
E-Mail: lesben-single-stammtisch-koeln@gmx.de
https://lesbensinglestammtischkoeln.wordpress.com/

Lesbenaktiv (Lesben* 50+)
Jeden 1. und 3. Freitag im Monat ab 19 Uhr in wechselnden Locactions.
E-Mail: Stephanie67@gmx.de

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Tags: Homosexuell und Ü60 , Kölner Schwulen- und Lesben-Szene

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